Bewertung mittels ESG-Indikator
Raiffeisen Capital Management hat sich zu einem umfassenden ESG-Ansatz entschlossen. Jeder Staat wird in Form eines Scores, eines Sovereign-ESG-Indikators, bewertet. Diese Bewertung soll alle wichtigen ESG-Themen (Environmental, Social und Governance) abdecken und in Summe ein Bild darüber abgeben, wie nachhaltig ein Staat agiert. Der Indikator wird für jene ca. 120 Länder errechnet, die im Investmentfokus liegen und für die ausreichend Informationen vorliegen.
Um Staaten nach ESG-Kriterien zu bewerten, wurden verschiedene Themen identifiziert, die Aufschluss darüber geben sollen, wie nachhaltig sich Staaten sowohl in ihrer Gesetzgebung als auch in ihrem Wirken gegenüber der Umwelt oder ihren Bürgern verhalten. Diese Themen werden durch sogenannte Faktoren repräsentiert, dabei handelt es sich um quantitativ verfügbare Daten bzw. Zeitreihen. Zu diesen Faktoren werden gewisse Qualitätskriterien hinsichtlich Verfügbarkeit, Historie, Updatehäufigkeit, Umfang, Konsistenz und Seriosität bzw. Reputation der Quelle eingefordert.
ESG-Faktoren von Staaten
Jeder verwendete Faktor wird einer Meta-Kategorie und darunterliegenden Kategorien zugeordnet:
Ein Beispiel für einen Faktor sind die CO2-Emissionen pro Einwohner, die der Kategorie Klimawandel, Meta-Kategorie Umwelt, zugerechnet werden. Je höher die Emissionen, desto geringer der Beitrag zum Gesamtindikator. Natürlich wäre der Faktor allein viel zu wenig, um selbst den Anteil eines Landes am Klimawandel zu beurteilen. Deshalb gibt es in jeder Kategorie eine Vielzahl von Faktoren, um ein möglichst akkurates Bild des nachhaltigen „Verhaltens“ eines Staates zu bekommen.
Ein Beispiel für die soziale Dimension ist der GINI-Index – ein Faktor der Kategorie Gerechtigkeit, Meta-Kategorie Soziales. Der GINI-Index misst die Ungleichverteilung der Einkommen in einem Land. Ein Wert von 0 wäre eine vollkommene Gleichverteilung und ein Wert von 1 eine vollkommene Ungleichverteilung. Darüber wie gleich Einkommen sein sollen, lässt sich trefflich streiten, im Sovereign-ESG-Indikator wird aber unterstellt, dass „gleichere“ Einkommen eine aus Nachhaltigkeitssicht positivere Wirkung haben.
Als letztes Beispiel sei eine Einschätzung der Korruptionsneigung verschiedener Staaten genannt (Governance/Institutionen). Niedrigere Korruptionsneigung hat dabei einen positiveren Einfluss auf den Indikator als höhere Korruptionsneigung.
Häufig handelt es sich bei den Faktoren um Daten mit jährlicher Frequenz. Marktdaten wie die Preise von an Märkten gehandelten Wertpapieren werden nicht herangezogen. Der Indikator verwendet keine Prognosen zukünftiger Daten, sondern nur bereits veröffentlichte historische Daten. Zumeist werden die Daten für jedes Land relativ im Vergleich zu den anderen Ländern bewertet und die Bewertungen aggregiert. Letztendlich muss jedem einzelnen Faktor und damit jeder (Meta-)Kategorie ein Gewicht und somit eine „Wichtigkeit“, mit der es in den Gesamtindikator eingeht, zugeordnet werden. In Summe ergibt sich für jedes Land ein Wert, der zwischen 0 und 100 liegt, wobei 0 für das Minimum an ESG-Affinität und 100 für das relative Maximum (im Staatenvergleich) steht.
Wenig überraschend sind die besten Werte unter den entwickelten Ländern und hier insbesondere in Nordeuropa zu finden. Die entwickelten Länder beziehen ihre Vorteile primär aus den sozialen oder Governance-Faktoren, bei den Umweltfaktoren ist die Aufteilung nicht so eindeutig.
Die quantitative Erfassung von ESG-Kategorien hat ihre Grenzen. In vielen Bereichen gibt es Datenmängel, manche Themen lassen sich gar nicht oder nur mit enormer zeitlicher Verzögerung bemessen. Die politischen Entwicklungen der letzten Monate zeigen, dass das Thema Sicherheitsarchitektur im Indikator aller Voraussicht nach unterrepräsentiert ist. Zwar sind die Werte von Russland, Belarus und der Ukraine deutlich gefallen, klassische Konzepte wie „Je niedriger die Rüstungsausgaben eines Landes sind, umso besser ist dies hinsichtlich der Nachhaltigkeit“, sind aber wohl nicht mehr zeitgemäß. Letztgenanntes Beispiel zeigt gut, dass eine Länderbewertung und somit auch der von Raiffeisen Capital Management angewandte ESG-Sovereign-Indikator ein lebender Prozess sein muss, der sich ständig weiterentwickelt.
Mag. Gernot Mayr
Senior Fondsmanager, Raiffeisen Kapitalanlage GmbH